StartKöpfeInterview mit Dalia Das: Jede Frau könnte IT- Fachkraft sein

Interview mit Dalia Das: Jede Frau könnte IT- Fachkraft sein

In nur drei Monaten werden Kursteilnehmer bei Neue Fische zu IT-Fachkräften weiterqualifiziert. Unser Autor Julius Berrien hat sich mit Neue-Fische-Gründerin Dalia Das über das Erfolgsrezept der Turbo-Schulungen und Frauen in der IT unterhalten. Neue Fische bietet Bootcamps für die Weiterbildung im IT-Bereich an.

Was ist deine Gründungsstory?

Ich selber habe viel Zeit in den USA verbringen dürfen und dort die ersten Coding Bootcamps miterlebt. Während in Deutschland traditionell viel Wert auf Abschlüsse und Zertifikate gelegt wird, folgen die amerikanischen Bootcamps der Grundthese, dass für einen Berufseinstieg als Programmierer nicht unbedingt ein vollständiges Informatikstudium notwendig ist. Wer bereits andere Dinge gelernt hat, kann die fehlenden Fähigkeiten in kurzer Zeit ergänzen.

Der gleichen Herangehensweise folgen wir bei Neue Fische. Wir zerlegen unsere Teilnehmer in ihre Skills, prüfen, welche davon für die IT relevant sind, und welche noch fehlen. Auf ein Studium der Sozialwissenschaften muss man kein dreijähriges Studium der Informatik oder Data Science mehr draufsatteln, um in einen IT-Beruf einzusteigen. Wie unsere amerikanischen Vorbilder konzentrieren wir uns bei Neue Fische auf die Fähigkeiten, die für den Job tatsächlich notwendig sind und vermitteln nur das. Deshalb können wir unsere Kursteilnehmer in nur drei Monaten zu IT-Fachkräften ausbilden.

Was ist dein Erfolgsrezept?

Unser Mantra heißt “Select. Train. Connect”. Das Format verlangt unseren Kursteilnehmern einiges ab. Ein dreimonatiges Vollzeit-Bootcamp erfolgreich durchlaufen, kann nicht jeder. Entsprechend sorgfältig suchen wir unsere Kursteilnehmer aus. Wir erwarten keine Programmierkenntnisse, wollen aber erkennen können, welche grundsätzlichen analytischen Skills, Kommunikationsfähigkeiten, Sozialkompetenzen und Motivation jemand mitbringt. Bewerber müssen uns davon überzeugen, dass ausgerechnet sie mit ihrem bisherigen Hintergrund in die IT einsteigen sollten.


Mit Kandidaten, die uns überzeugen konnten, suchen wir gemeinsam das richtige Programm aus, trainieren sie sehr praxisorientiert mit zwei bis drei Coaches in kleinen Gruppen von 15 Menschen und verbinden sie dann idealerweise direkt in den Job. Unsere Curricula haben wir gemeinsam mit Unternehmen entwickelt, die einen Bedarf an IT-Fachkräften haben, aber häufig keine geeigneten Bewerber finden. Den Unternehmen haben wir eine einfache Vorgabe gemacht: Baut ein Curriculum, das euch die Arbeitskräfte liefert, die ihr schon immer haben wolltet, aber nie gefunden habt. Die Curricula testen wir, holen Feedback ein und führen die Ergebnisse zurück in den Kreislauf.


Eine Besonderheit ist das digitale Gesellenstück. In allen unseren Programmen bauen die Teilnehmer ein anfassbares digitales Gesellenstück, zum Beispiel eine Datenanwendung, Webapplikation, Full-Stack-Java-Anwendung oder Cloudumgebung. Zertifikate und Noten sind für Arbeitgeber weniger aussagekräftig, als das, was unsere Absolventen auf Basis ihres gelernten Wissens, aber auch auf
Basis dessen, was sie sich während der Erstellung des Gesellenstücks selbst beigebracht haben, tatsächlich ins Leben gerufen haben. Lernfähigkeit ist eben dieses Skill der Zukunft, das sich Arbeitgeber wünschen.


Wird der digitale Wandel in Deutschland vom Fachkräftemangel gehemmt und laufen deutsche Unternehmen Gefahr, den Anschluss zu verlieren?

Beide Fragen kann ich mit ja beantworten. Der Fachkräftemangel bremst eindeutig die Geschwindigkeit, in der wir Deutschlands Unternehmen digitalisieren können. Die Zahlen, die auch gerade von der Bitcom wieder herausgegeben wurden, mit 137.000 offenen IT-Stellen im letzten Jahr, zeigen ebenfalls, dass wir jetzt sogar mehr IT-Fachkräftmangel haben, als vor der Pandemie.

Wir waren bei 124.000 im Jahr 2019, dann sank der Fachkräftemangel pandemiebedingt auf 84.000, stieg dann wieder auf 96.000 und jetzt sind wir sogar bei 137.000.

Das bedeutet erstens, wir haben Fachkräftemangel und zweitens, während sich der Rest der Welt immer weiter digitalisiert, wird bei uns in Deutschland der IT-Fachkräftemangel nicht kleiner, sondern größer. Standortnachteil Deutschland wird ein Thema werden, wenn andere Länder oder andere Regionen, wie die USA und China im Vergleich zu Deutschland und Europa schneller und innovativer werden.

Das führt womöglich dazu, dass sogar gutes Talent aus Deutschland abwandert, beispielsweise in Richtung USA, um dort zu gründen und neue Technologien nach vorne zu treiben. Eine Spirale, die wir unbedingt aufhalten sollten.


Warum sind die USA für IT-Fachkräfte attraktiver?

Vor allem sind in den USA die Gründungsbedingungen im Tech-Bereich besser. In den letzten Monaten und Jahren wurden in Deutschland zunehmend Versuche unternommen, die Bedingungen für Tech-Gründungen zu verbessern. Dennoch hat beispielsweise das Thema Finanzierung in den USA deutlich weniger Hürden, als im deutschen Markt. Davon betroffen sind besonders die
innovativen Tech-Themen, die nicht so gut gebootstrapped werden können.

Ein weiterer Aspekt ist Regulierung. Speziell im Bereich Gesundheit oder E-Health sind die Rahmenbedingungen, um überhaupt loslegen zu können, in Deutschland komplizierter. Ich höre von vielen Gründern in diesen Bereichen, dass sie gerne in Deutschland gründen würden, die Rahmenbedingungen hierzulande jedoch schwierig sind. Dementsprechend geht dem deutschen
Markt sicherlich die eine oder andere Innovation verloren.


Ich habe bewusst in Deutschland gegründet, weil ich gesehen habe, dass es woanders bereits Lösungen für ein Problem gibt, das wir in Deutschland auch haben, nämlich den IT-Fachkräftemangel. Natürlich ist der Markt hier kleiner, als in Indien, Brasilien oder China. Natürlich ist Deutschland zertifikatebehafteter und ein wenig altbacken im Quereinsteigerdenken, aber wenn nicht jemand wie ich anfängt, es aufzubrechen und eine alternative Lösung vorschlägt, die vielleicht doch irgendwann ins System passt, wer soll es denn dann tun?


Warum ist das Gründen im Tech-Sektor in Deutschland schwieriger und unattraktiver als beispielsweise in den USA?

Finanzierung ist das eine Thema. In Deutschland überhaupt Frühphasenfinanzierung zu finden, ist eher schwierig. Das zweite ist, Zugang zu Technologien und Helfern zu finden, die als Netzwerk zur Verfügung stehen. US-Universitäten verfügen über größere Budgets, um technologische Innovationen in bestimmten Feldern nach vorne zu treiben, was man ja auch als Gründer braucht.

Die Inzentivierung von Mitarbeitern ist ein weiteres Thema, das in Deutschland noch etwas schleppend ist. Stichwort virtuelle Stockprogramme und ihre steuerliche Behandlung.

Regulatorische Bestimmungen in einigen Sektoren sind hier komplizierter, als andernorts. Überhaupt zieht sich das Thema Überregulierung im Tech-Bereich eigentlich durch alles hindurch.


Warum ist der Quereinstieg in die IT-Industrie gerade für Frauen spannend?

Erstens verfügen Frauen über viele Eigenschaften, auf die wir im Rahmen unseres Bewerbungsprozesses Wert legen. Frauen sind in der Regel kommunikationsstark, verfügen über gute analytische Grundfähigkeiten, haben oftmals einen hohen Grad an Kreativität und sind als Lerner und später im Beruf fokussiert.

Das einzige, was Frauen in der Regel nicht mitbringen, ist ein IT-Studium. Wer das Erststudium nich im Bereich Informatik absolviert hat, könnte trotzdem später eine gute IT-Fachkraft werden. Unser Bildungssystem bietet in der Regel aber keine Umstiegsmöglichkeiten. In Deutschland sind wir es gewöhnt, in Berufspaketen zu denken. Man studiert eine Fachrichtung und bleibt in diesem Beruf ein Leben lang. Doch wie kommt man da wieder heraus? Unser Bootcamp liefert eine Antwort auf
diese Frage.

Eine Biologin, die vielleicht sogar bereits promoviert hat, könnte bei uns eine dreimonatige Data Science-Ausbildung draufsatteln und dadurch plötzlich qualifiziert sein, in jeder Industrie als Datenwissenschaftlerin zu arbeiten. Ein weiteres Fallbeispiel könnte eine Marketingmanagerin sein, die im Umgang mit Webentwicklern gemerkt hat, dass sie das vielleicht viel lieber machen würde. In
solchen Fällen muss es einen Weg geben, die fehlenden Skills, in diesem Fall Programmierskills, hinzuzufügen. Das meiste lernt man ja, wie bei jedem anderen Beruf auch, auf dem Job.

Dadurch eröffnen wir auch einen völlig neuen Weg, gegen den Fachkräftemangel vorzugehen. Wir vertreten die Grundthese, jede Frau könnte auch IT-Fachkraft sein. Das ist vielleicht ein wenig provokant, aber wir glauben, jede Frau, die es will, kann theoretisch den Sprung schaffen. IT-Berufe gehen ja auch oft mit einer moderneren Arbeitskultur, flexibleren Arbeitsmöglichkeiten
und guter Bezahlung einher. All das sind attraktive Attribute für Frauen, um überhaupt eine Berufswahl zu treffen.

Außerdem legen Unternehmen zunehmend Wert auf Diversity und suchen dringend nach Frauen für ihre IT-Teams, zumal erfahrungsgemäß geschlechtlich gemischte Teams besser funktionieren.

Welchen Herausforderungen begegnen Frauen speziell in technischen Berufen?

Die Herausforderung ist zum einen, dass man es überwiegend mit männlichen Kollegen zu tun hat. Ineinem Entwicklerteam ist man häufig die einzige Frau. Damit muss man erstmal zurechtkommen können. Durch Neue Fische, aber auch durch andere Ausbilder, gibt es mittlerweile mehr Frauen. Wir kreieren Role Models, wodurch Frauen mehr Mut gemacht wird, in Informatikberufe einzusteigen.

Aber gerade die klassisch studierten Informatiker, insbesondere die älteren Semester, sind mitunter skeptisch, was Frauen in der IT angeht. Hier haben wir noch einen langen Weg vor uns.


Eure Kurse haben einen Frauenanteil von 40%. Warum bewerben sich so viel mehr Frauen für eure Ausbildungsprogramme als für Informatikstudiengänge an
Universitäten?


Wir sind weniger abschreckend als ein Informatikstudium und sprechen die Frauen in einer Lebensphase an, in der sie bereits herausgefunden haben, was sie wollen.

Frauen kommen zu uns, nachdem sie ihr Studium abgeschlossenen oder abgebrochenen oder erste Berufserfahrung gesammelt haben. Sie haben dann einfach schon viel mehr gesehen. Wenn die Entscheidung für ein Studium fällt, in der Regel direkt nach der Schule, ist man noch sehr jung und sucht nach Vorbildern. In der IT findet man wenige weibliche Vorbilder mit denen man sich persönlich unterhalten könnte. Wenn Frauen nach dem Abitur in einer Informatikvorlesung keine anderen Frauen sehen, schreckt es sie ab. Man ist vom Selbstbewusstsein noch nicht so weit, sich das zuzutrauen.

Vollkommen anders ist es, wenn man sich im Alter von 25 oder 32 die Frage, wo die berufliche Reise eigentlich hingehen soll, neu stellt. Dann hatte man vielleicht bereits Kontakt mit dem IT-Umfeld und hat gesehen, dass dort zwar viele Männer sind, man mit diesen aber gut zurecht kommt.

In dieser Phase des Lebens holen wir Frauen gezielt ab. Ich selber spreche häufig zum Thema, warum Frauen einen IT-Beruf in Erwägung ziehen oder zumindest nicht davor zurückschrecken sollten. Aufgrund des hohen Frauenanteils, den wir ohne Frauenquote erreichen, fühlen sie sich dann auch nicht mehr exotisch und haben keine Angst.

Zudem haben wir sehr viele Erfolgsgeschichten von Frauen zu erzählen, wie zum Beispiel die einer Ergotherapeutin, die Webdeveloper geworden ist oder die der Chemikerin, die sich zum Data Scientist hat umschulen lassen. Wir haben einfach viele bunte Erfolgsstories zu teilen, die Mut machen, es selber auch zu versuchen. Jede unserer Absolventinnen ist am Ende auch ein Role Model für die nächste, was genau das Mindset ist, das ich kreieren will.

Unser Team bei Neue Fische, aber auch unsere Absolventinnen sollen sich bewusst sein, dass sie die Role Models sind für die nächste
Generation von “IT-Frauen”.


Hattest Du als Gründerin und Führungskraft stärkere Hürden zu überwinden als Männer?


Ja und nein. In der Ansprache von Frauen als Teilnehmerinnen hatte ich durchaus Vorteile. Wenn ich als Frau sage, ich glaube, Frauen können es schaffen, hat dies möglicherweise eine andere Strahlkraft, als wenn ein Mann es sagen würde.

Zudem ist es mir gelungen, um mich herum ein Team zu bauen, das es nie als Problem, sondern im Gegenteil als etwas Positives gesehen hat, dass ich Frau bin.

Nach außen hin musste ich mich stärker behaupten. Der Umstand, dass eine Frau eine IT-Schule gründet, hat zu Beginn viel Skepsis hervorgerufen. Nach dem allerersten Podcast, den ich bei On the Way to New Work aufgenommen habe, gab es einen riesigen Shitstorm: “Was? Drei Monate geht sowieso nicht und dazu noch eine Frau, das kann auch nicht sein.” Bis hin zu dem einen oder
anderen rassistischen Vorwurf nach dem Motto “die soll doch besser dahin zurückgehen, wo sie hergekommen ist, dann hätten wir das Problem mit dem Fachkräftemangel nicht.” Man muss schon auch eine Menge aushalten im Gründerdasein als Frau, meistens jedoch nur in der Anfangsphase. Sobald man sich etabliert hat, läuft es eigentlich.

Führen Frauen anders?

Ich mag das ungern pauschalisieren. Ich kann nur sagen, wie ich an Dinge herangehe, was sich möglicherweise von dem unterscheidet, wie der typische Mann an Dinge herangeht.

Ich glaube, Frauen sind kollaborativer, integrativer, kommunikationsstärker und vielleicht auch ein bisschen besser darin, einem Unternehmen eine positive Arbeitskultur zu geben. In unserem Unternehmen ist das sehr ausgeprägt. Wir haben natürlich auch ein Produkt, das bereits viel Sinnhaftigkeit mit sich bringt: Wir bringen Menschen auf einen anderen Lebensweg und verhelfen ihnen zu einer Karriere in der IT, die sie lieben.

Durch die vielen Stationen in meinem Arbeitsleben habe ich ein großes Mentorennetzwerk, das ich zu Rat ziehen kann. Ich bin mir nie dafür zu schade, zu fragen, wenn ich eine andere Meinung brauche. Das ist, glaube ich, auch etwas, das Frauen lieber tun, als Männer. Wie gesagt, möchte ich das ungerne verallgemeinern. Es gibt unglaublich tolle männliche Führungskräfte, für die ich bereits arbeiten durfte.

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