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Was „adaptives Lernen“ in der Praxis bringt

In der modernen, von Daten gesteuerten Welt weiß der Algorithmus, welches Buch einen interessieren oder welche Diät man befolgen sollte. Selbst bei der heiklen Frage, welchen Menschen man zu einem Date treffen sollte, kommt der Algorithmus mit Apps wie Tinder immer häufiger ins Spiel. Doch beim digitalen Lernen spulen viele Angebote nach wie vor ein ödes Einheitsprogramm ab. „Obwohl digitale Medien und Technologien in der betrieblichen Weiterbildung immer mehr Einsatz finden, stehen Online-Weiterbildungsangebote häufig nur als statisches Gesamtpaket zur Verfügung und ahmen damit die „One-size-fits-all“-Strategie von traditionellen Präsenzschulungen nach“, beklagt Prof. Dr. Dirk Ifenthaler in einem Interview.

Sowohl personalisiertes als auch adaptives Lernen zielen auf eine Unterstützung der Lernerfahrung durch Anpassung an die aktuelle Situation der Lernenden ab. Doch was bedeutet „adaptives Lernen“ genau? Adaptives Lernen wird auch als „adaptiver Unterricht“ bezeichnet. Man versteht darunter eine Bildungsmethode, bei der Computeralgorithmen und künstliche Intelligenz eingesetzt werden, um die Interaktion mit dem Lernenden zu steuern und maßgeschneiderte Ressourcen und Lernaktivitäten bereitzustellen. Sie sind auf die individuellen Bedürfnisse jedes Lernenden zugeschnitten.

In professionellen Lernkontexten können Einzelpersonen einige Schulungen „ausprobieren“, um sicherzustellen, dass sie sich auf neue Anweisungen einlassen. Computer passen die Präsentation des Lehrmaterials an die Lernbedürfnisse der Schüler an, wie sie sich aus ihren Antworten auf Fragen, Aufgaben und Erfahrungen ergeben. Die Technologie umfasst Aspekte aus verschiedenen Fachgebieten wie Informatik, Künstliche Intelligenz, Psychometrie, Pädagogik, Psychologie und Gehirnforschung.

Über adaptives Lernen diskutiert die Fachwelt schon seit den 1970er-Jahren. Schon damals stand die These im Raum, dass Computer auch beim Lehren und Lernen irgendwann die menschliche Fähigkeit der Anpassungsfähigkeit erreichen würden. Beim adaptiven Lernen geht man davon aus, dass das Werkzeug oder System in der Lage ist, sich an die Lernmethode der Nutzerin oder des Nutzers anzupassen, was zu einer besseren und effektiveren Lernerfahrung führt. Doch in den 70er Jahren waren die wenigen verfügbaren Computer zwar groß wie Kühlschränke und konnten aber nur elementare Rechenaufgaben erledigen. Heute verfügt bereits ein in die Jahre gekommenes iPhone-Modell aus dem Jahr 2018 über die millionenfache Rechenleistung des Bordcomputers der Apollo 11, der immerhin die Astronauten sicher auf den Mond geführt hat.

Doch die Verbesserung der Computer-Performance allein reicht nicht aus, um einen überholten Einheits-Frontalunterricht durch eine agilere und smartere Lehr- und Lernmethode abzulösen. Dazu bedarf es auch eines Paradigmenwechsels, denn adaptives Lernen wurde auch durch die Erkenntnis vorangetrieben, dass maßgeschneidertes Lernen mit herkömmlichen, nicht-adaptiven Ansätzen nicht in großem Maßstab erreicht werden kann. Adaptive Lernsysteme sind bestrebt, den Lernenden vom passiven Empfänger von Informationen zum Mitwirkenden am Bildungsprozess zu machen.

Prof. Dr. Dirk Ifenthaler sagt, die empirische Lernforschung stehe vor der schwierigen Aufgabe, dass Lernprozesse selbst nicht beobachtbar seien. „Sie sind aber aus zu beobachtenden Verhaltensänderungen erschließbar. Die Forschungsergebnisse helfen dabei, Lernumgebungen zu optimieren, didaktische Methoden zu verbessern und Tools zum Lernen zu entwickeln.“

Die empirische Lernforschung sei sich relativ einig, dass Lernen maßgeblich von unterschiedlichen Bedingungen beeinflusst wird:

  1. dem individuellen Entwicklungsstand des Lernenden
  2. kognitiven Dispositionen des Lernenden, das heißt seiner Informationsverarbeitung und Behaltensfähigkeit
  3. drittens den motivationalen und emotionalen Dispositionen des Lernenden, zum Beispiel dem Interesse am Lerninhalt
  4. Der Struktur und Qualität der Lernenden und Lehrsituation beziehungsweise der Lernumgebung

Der Medienberater Jöran Muuß-Merholz zieht bei seiner Erläuterung des Begriffs „Adaptives Lernen“ den Vergleich zu einer guten Lehrerin, die auch nicht alle Kinder in der Klasse mit einem Einheitsangebot abspeist, sondern auf die individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingeht. Das fängt der Diagnose des Wissenstandes und der Zielsetzung an, reicht über individuellen Input und personalisierten Übungen bis hin zu einer Evaluation und Feedback ohne große Zeitverzögerung.

Theoretisch kann die Lehrerin dem Lernenden ständig über die Schulter schauen, das Lernen analysieren, kleine Inputs geben, passende Übungen auswählen, schnell Feedback geben etc.. Doch in der Praxis wird dies schnell an Grenzen stoßen, auch weil mehrere Kinder gleichzeitig in der Klasse sitzen.

Jöran Muuß-Merholz erklärt „Adaptives Lernen“ und „Intelligente Tutorielle Systeme“

Beim „Adaptiven Lernen“ würden die Aufgaben der guten Lehrerin von einer Maschine, also einer künstlichen Intelligenz übernommen. Nicht die Lehrerin, sondern die KI kümmert sich um das Adaptive, also die Anpassung des Lehrangebots. Der Fachbegriff für solche Programme lautet dann „Intelligente Tutorielle Systeme“.

Wie geht der Computer dabei vor?

  1. Diagnose:
    Der Computer erfasst den Lernstand, z.B. über einen individuellen Einstufungstest. Er kennt die Lernziele, sowohl allgemeine Ziele, z.B. aus dem Lehrplan als individuelle Ziele dieser konkreten Person. Daraus leitet er die notwendigen Lernschritte ab.
  2. Input:
    Der Computer gibt Input, beispielsweise als Vortrag, als Text, als Simulation oder als Video.
  3. Übung:
    Der Computer lässt den Lernenden das neu Gelernte anwenden und üben, am besten in verschiedenen Formen und Kontexten.
  4. Evaluation und Feedback:
    Der Computer macht sich ein Bild vom Status des Lernenden, gibt ihm Rückmeldung zum Stand und zu nächsten Schritten.dann geht es zurück zum Schritt Nummer 1.

Ifenthaler sieht beim adaptiven Lernen durchaus Parallelen zu Amazon oder Netflix. „Personalisierte und adaptive Lernumgebungen funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie Online-Shopping-Plattformen und Streaming-Portale. Nach demselben Prinzip sammeln personalisierte und adaptive Lernumgebungen riesige Mengen an Bildungsdaten, um Lernverhalten zu analysieren und das Lernangebot automatisch an die individuelle Situation der Lernenden anzupassen.“

Die Anwendungsmöglichkeiten und Funktionen von personalisierten und adaptiven Lernumgebungen seien vielseitig. „So können beispielsweise Lerninhalte und Lernmaterialien wie spezielle Übungen, Videos oder Texte an die jeweiligen Interessen und Präferenzen sowie den aktuellen Wissenstand der Lernenden angepasst werden. Personalisierte Nutzeroberflächen, adaptives Feedback sowie personalisierte Lernpfade und Lernzielempfehlungen, angepasst an die jeweiligen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Lernenden, stellen weitere mögliche Funktionen personalisierter und adaptiver Lernumgebungen dar.“

Die Erkenntnisse aus Forschung und Praxis zum Thema „adaptives Lernen“ flossen in das Mannheimer Projekt KAMAELEON ein – eine Kooperation zwischen dem Lehr­stuhl für Wirtschafts­pädagogik und technologie­basiertes Instruktions­design und der Lernplattform des Münsteraner Start-ups edyoucated. Das Akronym KAMAELEON steht für „Kontextbasierte und adaptive Maßnahmen für effektive Lernunterstützung in der Online-Weiterbildung“.

Das Forscherteam unter der Leitung von Prof. Ifenthaler untersucht dafür zunächst die Bedingungen für flexible Weiterbildungs­angebote. Auf Grundlage der Forschungs­ergebnisse wird im nächsten Schritt die Lernplattform edyoucated weiterentwickelt. Die neue Plattform soll die Lernbedingungen und -präferenzen ihrer Nutzerinnen und Nutzer berücksichtigen. Das heißt, das Lernangebot richtet sich für jede Person individuell nach ihren zeitlichen Ressourcen und Vorlieben, zum Beispiel für text- oder video­basiertes Lernen. Und wenn sich die Lernziele während der Weiterbildung ändern, beispielsweise aufgrund neuer Projekte am Arbeits­platz, so werden auch die Weiterbildungs­angebote auf diese neuen Ziele ausgerichtet.

Bei der Plattform handelt es sich zudem um ein Open-Source-Angebot: „Wir schaffen eine Weiterbildungs­plattform, die durch offenen Programmcode frei verfügbar sein wird und somit die Bereitstellung von Weiterbildungs­gelegenheiten nachhaltig unterstützt“, so Ifenthaler. KAMAELEON wird seit dem April 2021 vom Bundes­ministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die Zuwendungen sind auf 36 Monate ausgelegt.

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