Immer mehr Viertklässler in Deutschland beherrschen beim Lesen, Schreiben und Rechnen nicht die Mindeststandards. Das ist das Ergebnis de Studie „IQB-Bildungstrend 2021“, die am 17. Oktober 2022 im Detail vorgestellt wurde. „Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends liefern ein besorgniserregendes Bild“, lautet das Fazit der Studie. Die negativen Trends seien erheblich und der Anteil der Viertklässler, die nicht einmal die Mindeststandards erreichen, sei zu hoch. „Im Jahr 2021 liegt dieser Anteil in Deutschland insgesamt zwischen gut 18 Prozent (Zuhören) und etwa 30 Prozent (Orthografie), wobei die Anteile in einzelnen Ländern noch deutlich höher sind. Es dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass solche Zahlen nicht hinnehmbar sind.“ Bei Mindeststandards handelt es sich um Anforderungen, die von allen Schülerinnen und Schülern erreicht werden sollten.
Bei der Suche nach den Ursachen für die Misere wollen die Studienautorinnen und – autoren nicht alleine den Themenkomplex „Corona“ gelten lassen. Es spreche zwar einiges dafür, dass die pandemiebedingten Einschränkungen des Schulbetriebs eine Rolle gespielt hätten. Zum einen seien im Zeitraum 2016–2021 in allen Kompetenzbereichen deutlich negative Trends zu verzeichnen und zum anderen seien fast alle Länder von negativen Trends betroffen. „Zudem stimmen die Ergebnisse mit Befunden aus internationalen Studien überein, die Effekte der pandemiebedingten Einschränkungen identifiziert haben.“ Gleichzeitig hätten sich in Deutschland bereits lange vor dem Ausbruch der Pandemie zwischen 2011 und 2016 ungünstige Entwicklungen abgezeichnet. „Bei den negativen Trends, die in Deutschland im Zeitraum 2016–2021 aufgetreten sind, könnte es sich somit teilweise um eine Fortsetzung dieser Entwicklungen handeln, die auch ohne die Pandemie aufgetreten wäre.
Besonders ungünstig fallen die Ergebnisse für Kinder mit Zuwanderungshintergrund und aus sozial benachteiligten Familien aus. Sie erreichen im Jahr 2021 in allen untersuchten Kompetenzbereichen und in den meisten Ländern im Durchschnitt nicht nur ein niedrigeres Kompetenzniveau, sondern sind von den negativen Trends überwiegend auch deutlich stärker betroffen als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler.
Bei Kindern ohne Zuwanderungshintergrund und bei Kindern aus sozial besser gestellten Familien verzeichnet die Studie ebenfalls Kompetenzeinbußen. Angesichts des insgesamt sinkenden Kompetenzniveaus der Viertklässler müssten gezielte Anstrengungen unternommen werden, um die Bildungsqualität in der Breite zu erhöhen, heißt es in dem Report weiter. „Dabei muss ein besonderes Augenmerk auf die Sicherung der Mindeststandards und auf diejenigen Schüler:innen gelegt werden, die aufgrund von ungünstigeren Lernausgangslagen und Lernbedingungen einem besonderen Risiko ausgesetzt sind, abgehängt zu werden.“
Eine besondere Herausforderung besteht der Studie zufolge weiterhin im Bereich der Sprachförderung. „Diese muss systematisch weiterentwickelt werden, um sicherzustellen, dass auch Kinder, die mit geringen Deutschkenntnissen ins Bildungssystem kommen, dieses erfolgreich durchlaufen können.“
Die Ergebnisse in den einzelnen Bundesländern fallen sehr unterschiedlich aus. Viertklässler aus Bayern und Sachsen sind in allen Bereichen besser als der Bundesdurchschnitt. In Schleswig-Holstein fallen die Werte für Lesen und Zuhören gut aus, abgeschwächt auch in Hessen. Großen Nachholbedarf gibt es in Bremen, Berlin und Brandenburg:
In dem Report heißt es zu den regionalen Unterschieden, dass es bemerkenswert sei, dass – entgegen der allgemein ungünstigen Entwicklung – in Bremen, Ham- burg und Rheinland-Pfalz das erreichte Kompetenzniveau zwischen den Jahren 2016 und 2021 weitgehend gehalten werden konnte, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau. Hamburg gehört demnach im Vergleich der Länder nicht mehr – wie noch im Jahr 2011 – zu den Schlusslichtern und hat sich von den Ergebnissen der anderen beiden Stadtstaaten Berlin und Bremen inzwischen deutlich abgesetzt.
„Ob dies etwas mit der Strategie einer datengestützten Schul- und Unterrichtsentwicklung zu tun hat, die das Land in mehr als 20 Jahren konsequent etabliert und weiterentwickelt hat, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen.“ Es erscheine jedoch plausibel, dass in einem System, in dem die Entwicklung zentraler Rahmenbedingungen, Verläufe und Ergebnisse schulischer Bildungsprozesse auf den verschiedenen Akteursebenen kontinuierlich beobachtet werde, auf Veränderungen gezielter reagiert und bei sich abzeichnenden Problemlagen frühzeitiger interveniert werden könne.