StartKöpfeBrockhaus-CEO: Unser Fokus ist der komplette digitale Unterricht

Brockhaus-CEO: Unser Fokus ist der komplette digitale Unterricht

Thomas Littschwager, Geschäftsführer von Brockhaus NE, sieht auch in Zeiten von Wikipedia noch Bedarf an kostenpflichtigen Enzyklopädien. Zukünftige Schwerpunkte bei Brockhaus sollen aber digitale Lehrmaterialien für Schulen und Online-Kurse zur Medienkompetenz bei Erwachsenen werden. Durch das Ermöglichen von digitalem Unterricht will Littschwager auch eine Antwort auf den Lehrermangel liefern. Julius Berrien vom eLearning Report im Gespräch mit Thomas Littschwager:

Können Sie uns Ihr Angebot erläutern?

Es gibt zum einen unser Angebot, für das der Name Brockhaus seit über 200 Jahren bekannt ist. Das ist die allgemeine Enzyklopädie, das Jugendlexikon, das sich schwerpunktmäßig an Schüler:innen zwischen 10 und 16 Jahren richtet und ein Kinderlexikon für die 1. bis 4. Klasse.  

Daneben bauen wir seit einigen Jahren ein Angebot an Online-Kursen für Schüler:innen, Lehrkräfte und  Bibliotheksbesucher auf und erstellen Lehrmaterialien, die Lehrer:innen unterstützen, digitalen Unterricht abzuhalten.

Würden Sie uns etwas mehr über Ihre Kunden verraten?

Eine unserer wichtigsten Zielgruppen sind Schulen. Bei Schulen liegt unser Schwerpunkt momentan darauf, Ressourcen bereitzustellen, um digitalen Unterricht abzuhalten. Wir haben bereits Kurse für verschiedene Fächer und Jahrgangsstufen, beispielsweise Chemie für die 8. Klasse. Die kann ein Lehrer dann einfach einsetzen, um digitalen Unterricht im entsprechenden Fach durchzuführen. Alle unsere Inhalte sind komplett kurrikulumskonform und kompetenzbasiert.  

Die Materialien sind modular aufgebaut. Den Stoff brechen wir auf wenige Unterrichtsstunden herunter. Es ist immer ein gewisser Textbestandteil, dazu viele Aufgaben und Übungen. Interaktivität spielt eine große Rolle bei unseren Kursen. Zudem arbeiten wir derzeit an weiteren Inhalten – Upgrades, bei denen Pakete wie zum Beispiel für Naturwissenschaften zusätzlich erworben werden können. 

Die Inhalte können auf unserer Plattform komplett webbasiert genutzt und angesehen werden. Wir sind ein Tochterunternehmen der schwedischen Nationalencyklopedin, die diese Plattform entwickelt hat. Die Lehrkraft erhält Reportings zum Lernfortschritt, welche zeigen, ob die Schüler:innen die Module abgeschlossen haben.  

Eine andere wichtige Säule unseres Geschäfts sind die Bibliotheken, die unseren Service nutzen. Je nachdem, ob eine Bibliothek sich eher an Kinder oder Erwachsene richtet, haben wir spezielle Angebote. Die Bibliothek bucht dieses Angebot bei uns. Über die digitale Plattform der Bibliothek kann jeder Bibliothekskunde:in mit  seinem:ihrem Bibliotheksausweis auf die Inhalte zugreifen. So gut wie jede größere Bibliothek verfügt über unsere Product-Services. Daneben können die Besucher:innen aber auch auf unsere Online-Kurse zugreifen, wenn die  Bibliothek diese lizenziert hat. Wir legen im Moment bei unseren Bibliothekskursen den Schwerpunkt auf Medienkompetenz bei Erwachsenen und Jugendlichen (Wie kann ich im Internet recherchieren? Wie gehe ich mit Fake-News um? Wie gehe ich mit dem Smartphone um?).

Haben Sie auch Angebote für Einzelpersonen?

Ursprünglich war die Brockhaus Enzyklopädie ein Privatkundengeschäft. Das hat sich im Zuge der Digitalisierung aber gewandelt. Wir haben auch weiterhin Angebote für Privatkunden, die geprüfte Enzyklopädie-Inhalte und Online-Kurse nutzen möchten, aber zusätzlich haben wir uns schnell in die Richtung entwickelt, dass nun auch Businesskunden, Bibliotheken und Schulen Zielgruppe für unsere Produkte sind. Hier spielt der Zugang zu einer abgeschlossenen Plattform mit geprüftem Wissen eine große Rolle. Unser Fokus liegt aktuell darauf, das Schulwissen vollumfänglich abzudecken. Natürlich können aber auch Privatkunden unser Angebot weiterhin nutzen. Die allgemeine Enzyklopädie, der ehemalige Brockhaus, ist natürlich auch für Einzelpersonen interessant. Zudem bieten wir für Privatkunden weiterführende Inhalte, wie ein Themenpaket zum Klima der Welt, zu Meisterwerken der Kunst oder zum Ukraine Krieg. Ich würde sie als Erlebnis-Welten bezeichnen. Das ist ein Angebot für die Allgemeinheit, auch für die Bibliothekskunden, aber eher weniger für den Unterricht, da sie nicht kurrikulumskonform sind.

Können Ihre Kurse mit Zertifikat abgeschlossen werden?

Im Moment bieten wir keine Zertifikate an, auch weil wir kein zertifizierter Weiterbildungsanbieter sind. Es ist aber denkbar, dass wir in Zukunft in ausgewählten Bereichen Zertifikate anbieten werden. Aktuell überlegen wir beispielsweise, für Schüler und Schülerinnen Urkunden für das Abschließen von Kursen zu vergeben.

Wer kauft die Schulungen für Lehrer? Die Schulen selbst, die Kultusminister der Länder oder die einzelnen Lehrer selbst?

Theoretisch sind alle drei Varianten denkbar. In vier Bundesländern wurden Landeslizenzen vergeben (NRW, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern). Dadurch haben 2,67 Millionen Schüler:innen Zugang zu Brockhaus-Produkten. Das entspricht rund einem Drittel aller Schüler:innen in Deutschland.

Natürlich können auch Schulen ohne Landeslizenz unsere Schulungen erwerben und ihren Lehrer:innen zur Verfügung stellen. Es ist aber jederzeit denkbar, dass ein:e Lehrer:in diese selbst für den Einsatz im Unterricht kauft. Es wird sich zeigen, welcher Weg sich am Ende durchsetzen wird.

Welche Rolle hat die schwedische Nationalenzyklopädie bei der Transformation von Brockhaus zu einem rein digitalen Bildungsanbieter gespielt?

Unsere schwedische Mutter spielt eine sehr große Rolle. Bereits einige Jahre vor uns hat sie angefangen, die schwedische Nationalenzyklopädie komplett als digitale Enzyklopädie darzustellen und ist damit sowohl in Bibliotheken als auch in Schulen erfolgreich. Das Modell wurde von NE GmbH Brockhaus in Deutschland übernommen.

Was waren die hauptsächlichen Faktoren, weshalb Ihnen vor 15 Jahren der Übergang in die Digitalität gelungen ist? Worauf fußt dieses Geschäftsmodell?

Eine der wichtigen Faktoren war, dass damals noch Bertelsmann und das Bibliographische Institut sehr viel Wert darauf legten, dass die gesamte Produktion der Enzyklopädie digital abläuft. Das Bibliographische Institut hatte bereits die erste digitale Enzyklopädie Anfang der 90er Jahre herausgebracht. Bereits damals war klar, dass Digitalisierung eine wichtige Rolle spielen wird. Dadurch hatten wir alle unsere Inhalte bereits komplett in digitalen Datenbanken und brauchten die Inhalte lediglich online zu stellen. Vielen anderen Verlagen ist die Digitalisierung schwergefallen, da sie ihre Inhalte nicht in Datenbanken parat hatten. Da Brockhaus hier eine andere Ausgangslage hatte, ist der Start von Anfang an geglückt.

Sie haben auch ein Angebot für Flüchtlinge aus der Ukraine…

Wir haben einige unserer Inhalte von Muttersprachlern ins Ukrainische übersetzen lassen und die Lehrkräfte können die Inhalte sowohl auf Deutsch als auch auf Ukrainisch im selben Klassenzimmer parallel laufen lassen, um beiden Gruppen im Unterricht gleichzeitig gerecht zu werden. Zudem bieten wir Trainings für Deutsch, Mathematik und Englisch an sowie unsere Medienkompetenzkurse für Grundschulen und weiterführende Schulen. Ergänzend haben wir das Themenpaket zum Ukraine Krieg und zur Ukraine mit allen relevanten Hintergrundinformationen.

In der Süddeutschen Zeitung gab es 2010 einen Artikel mit dem Titel  “Wikipedia: Besser als der Brockhaus”. Demnach lag Wikipedia bei verschiedenen Kriterien vor dem Brockhaus. Warum ist geprüftes Wissen, wie es Brockhaus bietet, heute trotzdem noch wichtig?

Der große Unterschied von Brockhaus zu Wikipedia ist die Zuverlässigkeit der Informationen. Brockhaus garantiert, dass nur ausgewiesene Fachexperten unsere Artikel und Inhalte erstellen. Zweitens wird ein Artikel bei uns nur angefasst, wenn es einen echten Aktualisierungsbedarf gibt. Bei Wikipedia wird ein Artikel immer dann verändert, wenn einer der Autoren meint, es müsse etwas verbessert werden – ganz unabhängig davon, ob aufgrund von Fakten eine Aktualisierung erforderlich ist. Deswegen kann es passieren, dass ich heute als Schüler:in ein Referat zu einem aktuellen Thema vorbereite, auf Wikipedia als Quelle verweise, dort aber morgen etwas ganz anderes steht. Bei Wikipedia besteht also das Grundrisiko, im ungünstigen Moment auf falsche Informationen zuzugreifen. Im Unterschied dazu ist die Verlässlichkeit und damit auch die Zitierfähigkeit bei Brockhaus als Quelle gegeben. Das ist gerade an Schulen und Universitäten ein wichtiger Punkt. Alle Informationen bei Brockhaus sind mehrfach geprüft. Zudem entstehen bei Brockhaus keine neuen Artikel, nur weil gerade ein neuer Begriff in den Medien auftaucht. Unsere Redaktion setzt die Themen in einen Kontext und verknüpft diese mit bestehenden Inhalten. So können die Leser:innen diese Begriffe auch einordnen.

Wenn ich fragen darf, welche Autorenwerkzeuge benutzen Sie zur Erstellung Ihrer Online-Kurse?

Für die reine Content-Erstellung nutzen wir ein Headless CMS. Unsere Autoren selbst nutzen die unterschiedlichsten Tools. Unsere Inhouse-Redaktion überträgt externe Inhalte dann in unser CMS. Daher sind wir hier bei der Wahl der Werkzeuge relativ offen. Auch bei der Videoerstellung haben wir keinen Standard, dem wir streng folgen.

Wen würden Sie als Ihre Konkurrenten einschätzen?

Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, da wir in der Art wie wir unsere Pakete anbieten einzigartig sind. Niemand anderes verfügt über diese Masse an Wissenshappen aus einer Enzyklopädie heraus – außer Wikipedia – die aber wiederum keinen Wert darauf legen, schulkonforme Inhalte zu erstellen. Bei unserem Jugendlexikon achten wir beispielsweise darauf, dass Themen auch zielgruppengerecht geschrieben sind, also nicht nur für den gebildeten Erwachsenen, sondern auch für den interessierten Jugendlichen und das gerade lernende Kind. 

In den einzelnen Bereichen haben wir selbstverständlich Konkurrenten. Da sind zum Beispiel klassische Schulbuchverlage, wobei deren Fokus meistens auf gedruckten Büchern liegt. Und da sind die Startups mit digitalen Nachmittagsangeboten, die hervorragende Inhalte haben und zum Teil auch die Intention, an Schulen genutzt zu werden. Ich denke hier an Plattformen wie Sofatutor oder simpleclub. Wir bedienen jedoch ein anderes Feld und versuchen, eine Lücke zu schließen, die bislang nicht geschlossen wurde.

Was sind derzeit die größten Herausforderungen für Brockhaus, was will das Unternehmen erreichen und was sind die nächsten Ziele?

Eine besondere Herausforderung ist die unzureichende digitale Ausstattung an Schulen. Wir hoffen, dass sich die Situation schnell verbessert. Eine immerwährende Herausforderung bleibt natürlich, exzellenten Content zu produzieren, worin wir mittlerweile viel Erfahrung haben. 

Unsere nächsten großen Ziele sind, Schulen darin zu unterstützen, ihren Auftrag, digitale Medienkompetenz zu vermitteln, auch erfüllen zu können. In diesem Kontext möchten wir natürlich möglichst viele Schulen erreichen, so dass sie die Angebote auch nutzen können.

Unser langfristiges Ziel ist der komplette digitale Unterricht. In Zukunft sollen Kinder keine Schulbücher mehr tragen, sondern ein eigenes digitales Endgerät nutzen. Darauf finden sich dann alle Lerninhalte, die sie brauchen – zugeschnitten auf ihre individuellen Bedürfnisse. Das ist unsere langfristige Vision.

Funktioniert reines ELearning oder muss man auch moderierte Angebote machen?

Reines E-Learning funktioniert mit Sicherheit in einigen Bereichen. Nach meiner Auffassung funktioniert das aber in der Schule nicht. Es braucht die Vermittlung von Lerninhalten durch pädagogisch geschulte Personen. Wir können und wollen keine Lehrer und Lehrerinnen ersetzen.  

Mit E-Learning können wir aber Möglichkeiten schaffen, dass Lehrkräfte beispielsweise parallel mehrere Klassen unterrichten können. Wir leben ja in Zeiten von totalem Lehrer:innenmangel. Wenn Prognosen sagen, dass wir in Zukunft hunderttausende Lehrer:innen zu wenig haben werden, dann müssen wir uns fragen, wie Unterricht in Zukunft überhaupt noch stattfinden kann. Unsere Plattform ist ideal dafür geeignet, diese Lücken zu schließen. Das wird aber niemals unmoderiert sein. 

Digitale Lernmittel sind eine hervorragende Unterstützung für die Lehrkraft und eine Erleichterung für die Schüler:innen. Doch das pädagogische Potenzial von Lehrer:innen werden wir damit nicht ersetzen können. Anhand der digitalen Lernstandsermittlung wird eine Lehrkraft erkennen können, in welchen Bereichen der:die Schüler:in noch Schwächen und Wiederholungsbedarf hat und wird ihm:ihr entsprechende Übungen zuspielen. Umgekehrt könnte die Auswertung der Aufgaben, die ein:e Schüler:in auf der Online-Plattform gemacht hat, der Lehrkraft sagen, dass er in diesem Bereich weniger machen kann. Differenzierter Unterricht ist hier das Schlagwort. In Klassen mit 35 oder sogar 40 Schülern wird das extrem schwierig. Hier kann eine digitale Plattform, die erkennt, wo jede:r einzelne Schüler:in steht, unfassbar viel Unterstützung bieten.

Auf einer Plattform wie unserer sind auch verschiedene Unterrichtskonzepte denkbar. Beispielsweise ließe sich das Konzept des Flipped Classroom sehr gut umsetzen. Hier bereiten sich Schüler:innen auf die kommende Unterrichtsstunde vor und eignen sich das Wissen im Selbststudium an. Im Unterricht besprechen sie mit den Lehrkräften offene Fragen und spielen Anwendungsbeispiele durch. Ein solches Szenario wäre mithilfe unserer Plattform leicht darstellbar.

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